WIR SIND REGIONALLIGA

Es war im Frühling des letzten Jahres, da klingelte plötzlich das Telefon. Bastian Thomas war dran. Er sagte: „Tim, wir sind alt und wir sind müde. Wir haben Frauen und Kinder, Schulterschmerzen oder kaputte Knie oder beides. Wir packen’s nicht mehr in der 2. Liga.“ Ich murmelte irgendetwas Tröstliches, ich wusste ja schließlich, wovon er sprach. Wir waren noch älter und noch müder, manche von uns packten es nicht mal mehr in der Oberliga. Ich fragte: „Wie viel seid ihr?“ Er sagte: „Sechs. Der Ralle, der Jochen, der Schorsch, der Marc, der Brügge und ich.“ Ich zählte nach: wir waren auch sechs. Das wären zusammen 12 auf dem Papier, also mindestens 8 auf dem Spieltag, 6 im Training und 3 beim Axel. Wir entschlossen uns, uns zusammen zu tun.

Die Aussichten waren blendend. Das Durchschnittsalter überschlugen wir auf Mitte 30, die Erfahrung sprach eindeutig für uns. Ein Rotationsprinzip wahlweise nach Alphabet, Autokennzeichen oder Penislänge wurde angedacht.

Doch wir vergaßen zwei entscheidende Dinge:
1) Ein junges Zuspieltalent, das auf den Namen Michel Wolf hört und neben Volleyball am liebsten für Reli lernt, drückte unser Durchschnittsalter empfindlich.
2) Falk Gabel, der sich gerade als Trainer der ersten Mannschaft zurückgezogen hatte, wollte seine Freizeit tatsächlich uns Perspektivlosen widmen. Schlimmer noch: er versuchte, uns eine Perspektive zu geben. Am schlimmsten: er wollte uns verjüngen.

Talente mussten also her. Manche behaupteten gar, schon einmal eins gesehen zu haben. Gerade neulich, in Bleidenstadt, in Kriftel und was weiß ich, wo. Es gab sogar ein paar Probetrainings, auf dem wir Müden, Alten allesamt erschienen, weil wir wieder mal zum Axel wollten – nur die Talente kamen nicht. Und doch wuchs unsere Mannschaft stündlich. Zwischenzeitlich wurden ca 5 Zuspieler, 7 Diagonalangreifer, 6 Mittelblocker, aber nur 2 Annahme/Außen gezählt. Darüber wiederum freute sich insgeheim Bastian Thomas. Doch dazu später mehr.

Irgendwann lichteten sich dann aber doch die Reihen. Björn Schwenzer wurde trotz empfindlichen Haarverlusts in die Erste berufen, Bruno Focht war da konsequenter und ging nach Hochheim, wo er angeblich den festesten Angriffsschlag besitzt (und, hey Bruno, wir wissen, was das bedeutet). Mike Albrecht wollte nach 29 Semestern nun doch erst einmal sein Studium beenden, und Frank Cimander bekam plötzlich ein Praktikum in den USA angeboten (man munkelt, dass dies, wahrscheinlich via Rainer Calmund, von Bastian Thomas eingefädelt wurde). Wir waren also ca. 13 und ein Trainer. Und nach ein paar ganz guten Vorbereitungsspielen waren wir uns auch sicher: Eigentlich sind wir Regionalliga. Als dann auch noch Sontra an Spieltag 1 mit 3:0 zertrümmert und nach einem 3:0 in Michelbach die lokale Gang-Bang-Party souverän aufgemischt wurde, war die eigentliche Frage nur noch, wie viele Sätze auf dem Weg dahin abgeben werden.

Wieder hatten wir zwei entscheidende Dinge vergessen:
1) Nur weil man schon seit gefühlten 35 Jahren Volleyball spielt, heißt das nicht, dass man das auch immer gut tut.
2) Die anderen Teams waren wahnsinnig neidisch darauf, wie sexy wir uns schon allein einspielten und wollten uns nicht einfach so gewinnen lassen.

Die Folge: Gegen Bommersheim 2 hätten wir eigentlich 3:0 verlieren müssen, haben es aber, weil sie plötzlich panische Angst vor dem Sieg übermannte, doch 3:1 gewonnen. Gegen Hochheim und Brunos Trümmerangriffe brauchten wir viel Glück, um den Tie Break zu überstehen. Und gegen Soden, eine Mannschaft mit beneidenswertem Durchschnittsalter, verloren wir schließlich völlig verdient 3:1.

Plötzlich begann das große Zittern. Selbst Wö, der alte Schwertwal, sprach nicht mehr davon, schon Anfang Februar ins Beachtraining einzusteigen, weil da die Meisterschaft ja eh schon entschieden sei. Andere aßen nach 22 Uhr nichts mehr und dachten stattdessen mehr an Möpse, während Mike Albrecht versprach, nächste Woche vielleicht zweimal ins Training zu kommen. Zum Glück blieb wenigstens er sich treu und kam gar nicht. Und das war auch gut so. Sonst hätte er gegen Soden im Rückspiel vielleicht versucht, fest auf den Ball zu hauen und nicht so mies die Blockfinger anzuluschen. Wir gewannen jedenfalls 3:1 und waren damit dann doch schon fast Regionalliga.

Inzwischen war auch Bastian Thomas am Ziel. Jahre hatte er seinen Körper sinnlos in der Mitte geschunden, ist Aufsteiger nach Aufsteiger gegangen – nur um zu sehen, wie der Ball wunderschön an ihm vorbei flog und von Außen versenkt wurde. Das wollte er auch. Und nun, 3.000 Euro für Cimts Auslandspraktikum und zwei verlorene Spiele später, durfte er es: Annahme/Außen. Das will er noch die nächsten zehn Jahre machen. Dann wird er Zuspieler.

So viel Zukunft haben andere nicht mehr. Jörn Knuth, den wir in dieser Saison auch als Jörg Kurth kennenlernten, wird da vermutlich in der ersten ägyptischen Liga Libero spielen und nebenbei jungen Mulattinnen Surfunterricht geben. Dirk Ullmann tritt die Nachfolge seiner Freundin an und wird Passwart beim HVV. Der Wö ist für die Midlifecrisisparty zu alt, Jochen hat so viel an Möpse gedacht, dass er Volleybälle nur noch streicheln kann, und Michel ist Lehrer für Religion.

Aber nächstes Jahr sind wir alle noch mal dabei. Nächstes Jahr wollen wir es alle noch mal wissen. Zwar werden wir Marburg vermissen und die ganzen Staubsauger, die man da zu trinken bekommt, aber Schwarzenarsch, hört man, ist auch ein herrlich übles Pflaster. So denn, möchte man den Saarländern, Pfälzern, Rodheimern und Elgershausenern zurufen, versteckt eure Töchter – wir kommen.
WIR SIND REGIONALLIGA.

Das Problem nur: Falk Gabel hat gerade sein Vorhaben für die kommende Saison verkündet.
Er will die Mannschaft verjüngen.